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Nur mal schnell die Kirche retten... „Runder Tisch“ bei der KKV-Bezirksgemeinschaft Oldenburg

Von Simone Brauns-Bömermann, in: Oldenburgische Volkszeitung vom 15.11.2021

Visionsansätze gegen ein Wenn-die-Anzahl-der-Messdiener-die-der-Gläubigen-übersteigt

Vechta. Das Fazit und der hehre Wunsch war doch wieder: „Bleibt an Bord, haltet stand.“ Wie ein stabiles Schiff in der Welle, nur darf es nicht seine Breitseite dem aktuellen Wind preisgeben. Die zweite Überschrift im Fazit begehrte ein Stück mehr auf: „Unsere Diskussion kann ein Ansatzpunkt dafür sein, dass Kirche in anderer Form weiterleben kann“, resümierte Georg Konen, Vorsitzender des KKV-Fördererkreis im Verband der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung, nach zweieinhalb Stunden.

Zur Veranstaltung „Runder Tisch“ mit Thema „Unsere Kirche im Jahre 2030“ hatte der KKV-Fördererkreis für Bildungsarbeit in Kooperation mit der KKV-Bezirksgemeinschaft Oldenburg und dem Institut für Katholische Theologie der Universität Vechta in die Aula eingeladen. Zwar saßen die zugelassenen 70 Besucher nicht am bildlich runden Tisch, vielmehr kristallisierte sich die hierarchische Ordnung von Kirche und ihren Mitstreitern durch die Platzierung der Referenten auf dem hohen Podium heraus, die Salven der teils revolutionären Ideen der Referenten schossen dennoch scharf.

Auf die Vitae der sechs Referenten aus Kirche, Lehre, Praxis und Wirtschaft einzugehen, sprengt den Rahmen. Ein Stuhl auf dem Podium blieb frei, nicht weil ein Referent „schwänzte“, sondern er war reserviert für Freiwillige, die ein wichtiges Statement aus dem Forum abgeben wollten.

Nach Vorstellung und Statements der Referenten war klar: Das Thema war so komplex, dass maximal der Weg mit seinen Leitplanken zur Vision definiert werden konnte, Hoffnung auf den Fortbestand von Kirche, in welcher Form auch immer, blieb. Die Problemfelder der Kirche mit Austrittsschwall, Missbrauch-Syndrom und Priestervergreisung waren schnell definiert: Soll das Weiheamt weiterhin Männern vorbehalten und die autoritäre Struktur der Kirche mit viel Macht und dem Pflicht-Zölibat bleiben? Muss Kirche sich als Weltkirche neu definieren? Moderator Professor Dr. Franz Bölsker (Offizialat Vechta) malte das passende Bild: „Alt gewordene Priester leiten alt gewordene Gemeinden.“

Runder Tisch  - Podium

Füllten das Podium mit Wissen und Intellekt zur Herausforderung „Unsere Kirche im Jahre 2030": Dr. Dr. Thomas Rusche (von links), Regens Hartmut Niehues, Dr. jur. Hans-Joachim Gottschalk, Mechthild Pille, Professorin Dr. Walburga Hoff, Moderator Professor Dr. Franz Bölsker und Professor i.R. Dr. Karl Josef Lesch. Foto: Brauns-Bömermann

Kirche sei seit langem auch bei der Politik nicht mehr „auf dem Zettel“, da stimmten alle Referenten zu. Das anfangs schwarz gemalte Bild hellte sich aber im Verlauf der Podiumsdiskussion auf.

„Eins ist klar: Kirche muss bescheidener werden, ein Zölibat aus dem 11. Jahrhundert hat keine Berechtigung mehr. Kirche muss an der Seite der Menschen sein“, dafür steht Dr. jur. Hans-Joachim Gottschalk. Er sieht Kirche als dienende Institution. „Egal wie viele wir noch sein werden, wir müssen Ärgernis sein, als kleine bissige Kirche, als Stein des Anstoßes.“

„Die Kirchlichkeit nimmt bei jungen Menschen ab, aber die Religiosität bleibt“, war sich die Sozialwissenschaftlerin und Professorin für Soziale Arbeit und Ethik der Uni Vechta, Dr. Walburga Hoff, sicher. Der moderne Mensch suche nach Entwürfen der Religiosität in der Welt der Spätmoderne ohne kollektive Sinnbezüge, aber mit zu viel Raum für Selbstverwirklichung. „Die Studierenden fragen mich nach Methoden zum Überleben“, gestand sie. Sie litten unter dem Druck der Selbstoptimierung, sie scheiterten an ihrem eigenen Anspruch auf Unfehlbarkeit. Für Hoff steht fest: „Kirche ist: Fragen teilen." Sie sieht die Institution mehr als schöpferischen Raum wie Kunst und Literatur.

Zwei erste kritische Rückfragen kamen aus dem Forum: „Kirche muss sich mehr positionieren und bessere Öffentlichkeitsarbeit leisten.“ „Wenn man nicht einmal versteht, was in Rom gesprochen wird, dann verliert man die Lust.“

Mechthild Pille (Referentin für Frauenseelsorge im Offizialat Vechta) sprach praktisch: „Kirche ist nicht mehr nur Hochamt. Bei jungen Menschen wächst der Wunsch nach „glokaler“ Kirche (lokal und global). Da müssen wir etwas anbieten.“ Sie verstand sich als Sprecherin der Frauen in der katholischen Kirche.

Karl Josef Lesch als pensionierter Professor für Geschichte und Religionspädagogik in Vechta brachte das Bild der Kirche als Burg zu Fall: „Kirche verstand sich als vollkommene Gesellschaft. Wenn wir eine Reform mit Radikalität wollen, müssen wir an das allgemeine Verständnis heran. An Hierarchien und an Tabus.“

Der Philosoph und Unternehmer Dr. Dr. Thomas Rusche näherte sich der Sanierung der Kirche so: „Wenn ein Unternehmen failt, muss man eine SWOT-Analyse fahren. Die Stärken, Schwächen, Chancen und Bedrohungen detektieren. Es gilt den Markenkern zu entblättern und die Restrukturierung einzuleiten.“ Der brillante Rhetoriker sah den Markenkern der Kirche in der Liebe.

Regens Hartmut Niehues forderte: „Ich glaube, wir müssen uns ehrlich machen, wir müssen die Probe aufs Exempel wagen.“ Er steht für ein Raus aus der Kirchensteuer und der Hauptberuflichkeit und kann sich den Priester im Zivilberuf vorstellen. Aber: „2030 ist morgen, unsere Konzepte zum Überleben müssen weiter in die Zukunft denken.“ Das beste Mittel gegen Klerikalismus praktiziert der Leiter des Priesterseminars in Münster: „In unseren 120 Zimmern für Priesterschüler wohnen jetzt Studenten jeden Geschlechts und jeder Fachrichtung. Allerdings unterliegen sie der Bedingung, sich für das Wohnen mit der Frage „Gott, was willst du von mir?“ zu beschäftigen. Das ist die Reaktion auf die Zukunft: Nächstes Jahr werden noch drei Priester geweiht, dann steht bei der Anmeldung eine Null.